top of page

Wenn Liebe Selbstverleugnung bedeutet: Anpassung als Überlebensstrategie

  • Alexandra Grömmer
  • vor 7 Tagen
  • 2 Min. Lesezeit

Der Begriff „Fawning“ wurde erstmals vom amerikanischen Traumatherapeuten Pete Walker geprägt. In seinem Werk über komplexe posttraumatische Belastungsstörung beschreibt er Fawning als vierte Traumareaktion neben Fight (Kampf), Flight (Flucht) und Freeze (Erstarrung). Fawning bezeichnet eine reflexhafte Anpassung an andere, um Konflikte zu vermeiden, Sicherheit herzustellen und Nähe zu sichern – oft um den Preis des eigenen Selbstverlustes.


Wie entsteht Fawning?

Fawning entwickelt sich vor allem dann, wenn Kinder in einem emotional instabilen, unberechenbaren oder bedrohlichen Umfeld aufwachsen. Wenn Eltern psychisch belastet oder emotional nicht verfügbar sind, fehlt Kindern oft eine sichere Basis, um ihr eigenes Selbst authentisch zu entwickeln. Früh lernen sie, dass sie Sicherheit und Zuneigung erhalten, indem sie sich anpassen und Verantwortung für die emotionale Stabilität der Eltern übernehmen (Parentifizierung). Diese unbewusste Rolle als „kleine Erwachsene“ führt später häufig zu innerer Leere und Schuldgefühlen, sobald sie eigene Bedürfnisse äußern oder Grenzen setzen wollen.


Fawning und Co-Abhängigkeit

Besonders bei erwachsenen Kindern psychisch kranker Eltern ist Fawning eng mit co-abhängigem Verhalten verbunden. Betroffene haben gelernt, ihre Bedürfnisse vollständig zurückzustellen und ihre Identität über Fürsorge, Anpassung und das Wohlbefinden anderer zu definieren. Dies erzeugt eine starke innere Abhängigkeit, da der Selbstwert vollständig an äußere Bestätigung gekoppelt ist. Authentischer Ausdruck oder gesunde Abgrenzung werden unbewusst als gefährlich empfunden, da Nähe nur durch Anpassung gesichert scheint.


Fawning in Liebesbeziehungen

In Partnerschaften zeigt sich Fawning oft durch eine übermäßige Anpassung an die Bedürfnisse des Gegenübers. Eigene Wünsche und Gefühle werden ständig zurückgestellt, Konflikte aktiv vermieden und eine authentische Kommunikation kaum praktiziert. Die Angst vor Ablehnung oder Verlassenwerden hält Betroffene in einem Muster, in dem sie ihre Identität zunehmend verlieren und Beziehungen nicht mehr gleichwertig gestalten können.


Wege raus aus dem Fawning

Um Fawning zu überwinden, ist der erste Schritt das bewusste Erkennen und Annehmen dieses Verhaltens. Es geht darum, sich klarzumachen, dass diese Anpassung einst ein notwendiger Schutzmechanismus war, der heute jedoch Freiheit und echte Verbindung verhindert.

Hilfreiche Schritte auf dem Weg der Veränderung:


  • Körperbewusstsein stärken: Lernen, körperliche Signale wahrzunehmen, die auf Überanpassung hinweisen (z.B. Enge, Spannung), aber auch auf angenehme Empfindungen achten und diese bewusst erleben.

  • Eigene Bedürfnisse anerkennen: Grundbedürfnisse wie Ruhe, Nahrung, Schlaf bewusst wahrnehmen und erfüllen, um schrittweise wieder Zugang zu tieferen emotionalen Bedürfnissen zu gewinnen.

  • Abgrenzung üben: Kleine, bewusste Schritte zur Abgrenzung wagen, zunächst in sicheren Beziehungen oder Alltagssituationen, um die eigene Selbstwirksamkeit zu erfahren.

  • Innere Loyalitäten lösen: Sich bewusst mit inneren Verpflichtungen und ungesunden Loyalitäten auseinandersetzen, um sich emotional von früheren Rollen und Verantwortlichkeiten zu lösen.

  • Selbstmitgefühl entwickeln: Sich selbst mit Verständnis begegnen und anerkennen, dass frühere Anpassungsmuster kluge Überlebensstrategien waren.

  • Neue Beziehungserfahrungen schaffen: Sich bewusst Beziehungen öffnen, in denen Authentizität, Klarheit und gesunde Grenzen respektiert und gefördert werden.


Fawning ist keine Schwäche, sondern eine kluge und verständliche Reaktion auf eine emotional unsichere Umgebung. Sich aus diesem Muster zu lösen bedeutet, mutig Schritte in Richtung Authentizität, Selbstkontakt und echter Verbindung zu wagen – um Beziehungen zukünftig erfüllend, lebendig und auf Augenhöhe gestalten zu können.

 
 
bottom of page